REFLEX-STUDIE

REFLEX-STUDIE

Das Reflex-Projekt („Risk Evaluation of Potential Environmental Hazards From Low-Energy Electromagnetic Field Exposure Using Sensitive in vitro Methods”, zu deutsch: “Risikobeurteilung potenzieller Umweltgefahren durch die Einwirkung elektromagnetischer Felder niedriger Energie unter Einsatz empfindlicher in vitro-Methoden“) wurde im Zeitraum von Februar 2000 bis Mai 2004 durch 12 Forschergruppen aus 7 europäischen Ländern unter Koordination und Federführung der deutschen VERUM Stiftung für Verhalten und Umwelt (Geschäftsführer Prof. Dr. Franz Adlkofer) durchgeführt. Es sollte in Laborversuchen an verschiedenen Arten von lebenden Zellen herausgefunden werden, ob die Voraussetzungen für Gesundheitsschädigungen durch nieder- und hochfrequente Felder auf zellulärer oder molekularer Ebene erfüllt sind.

Wirkungen von niederfrequenten elektrischen und magnetischen sowie von hochfrequenten elektromagnetischen Feldern auf das Zellwachstum, die Ausformung der Zellen (Zell- Differenzierung) oder das programmierte Absterben von Zellen (Apoptose) konnten von mehreren Forschungsgruppen des REFLEX-Verbunds nicht gefunden werden. Die Ergebnisse in Bezug auf die Genexpression, d. h. die Umsetzung der genetischen Information in funktionsfähige Genprodukte, meist Proteine, waren vielfältig und komplex, jedoch gibt es keine Aussagen dazu, inwieweit diese Ergebnisse wiederholbar und biologisch relevant sind.

Mehr Information zur REFLEX-Studie in Übersichtsform: http://de.wikipedia.org/wiki/REFLEX-Studie 

Die Ergebnisse in Wien und die Reproduktionsstudien in Ulm und Bologna

Das Reflex-Projekt war darauf ausgelegt, dass in Laborversuchen an verschiedenen Arten von lebenden Zellen herausgefunden werden sollte, welche Auswirkungen elektromagnetische Felder auf Zellen haben. Dabei gab es hinsichtlich der Ergebnisse – zunächst – ein irritierendes Resultat für die Fachwelt: „Mobilfunkstrahlen schädigen die Erbsubstanz von menschlichen Zellen“ fand die Forschergruppe aus Wien heraus. Der Arbeitsgruppenleiter selbst aber erklärte in der ORF-ZIB 2 vom 14. Oktober 2004: „Ich kann auch nicht auf wissenschaftlich seriöse Weise diese Befunde, die ja in geringen Kulturen gemacht worden sind, jetzt in ein Risiko für Menschen übersetzen, das wäre wissenschaftlich nicht mehr seriös.“

Prof. Dr. Günter Speit von der Universität Ulm hat, auf Ersuchen des Wiener Arbeitsgruppenleiters, im Jahr 2006 unabhängige Wiederholungsstudien durchgeführt (an der auch Mitarbeiterinnen aus der Wiener Arbeitsgruppe beteiligt waren) mit folgendem Ergebnis: „In keinem der Experimente ergab sich ein Hinweis auf eine genotoxische Wirkung von hochfrequenten elektromagnetischen Feldern“ und weiters: „Diese Daten von Rüdiger sind nicht reproduzierbar und absolut unplausibel. Diesen Daten ist aus wissenschaftlicher Sicht keine große Bedeutung beizumessen“, so Speit. (Speit et al., Genotoxic effects of exposure to radiofrequency electromagnetic fields in cultured mammalian cells are not independently reproducible, Mutation Research (2006), doi: 10.1016/j.mrgentox.2006.08.003)

Von der ebenfalls am REFLEX-Programm beteiligten Arbeitsgruppe von Prof. Bersani, Universität Bologna, der Versuch unternommen, die Ergebnisse der Wiener Gruppe im Bereich Niederfrequenz (50 Hz) unabhängig zu reproduzieren. Obwohl die Versuchsbedingungen in außergewöhnlich hohem Maße übereinstimmten, konnten die Ergebnisse nicht bestätigt werden. Es wurden weder DNA-Schäden festgestellt, noch wurden Mikrokerne induziert (Scarfi et al., 2005, Evaluation of genotoxic effects in human fibroblasts after intermittent exposure to 50 Hz electromagnetic fields: a confirmatory study).

Für die Wiener Ärztekammer war die Reflex-Studie Anlass, Warnungen zur Handynutzung auszusprechen.   

Endergebnis

Untersuchungsergebnis zum Fälschungsvorwurf

Der Rektor der Meduni Wien erklärte in einer Presseaussendung vom 30.07.2008, dass nach weiteren, durch den Rat für Wissenschaftsethik vorgenommene Recherchen zu den beiden inkriminierten Studien (Schwarz et al (2008, IAOEH), Diem et al (2005, Mutation Research)) dezidiert feststehe, dass der die Experimente durchführenden Person zumindest seit August 2005 der Verblindungscode bekannt war. Da durch Strahlung induzierte Veränderungen am Zellkern unter dem Mikroskop festgestellt wurden, sei eine Verblindung aber essenziell, damit keiner der Untersucher vorher wisse, welche Zellen der Strahlung exponiert seien und welche nicht.

Die Med Uni Wien hat zu dem Vorfall in einer Presseinformation am 1.9.2008 u.a. folgendes ausgesendet:
Dabei hat er [der Rat für Wissenschaftsethik, Anm.] zahlreiche Indizien, die auf Datenfabrikation – also auf ein schwerwiegendes Fehlverhalten – hinweisen, festgestellt:

  • In zwei publizierten „Letters to the Editor“ wird die Statistik in den beiden Publikationen in hohem Maße angezweifelt (insbesondere ein [sic!] unglaubwürdig geringe biologische Streuung der Daten).
  • Zu demselben Ergebnis kam der vom Rat für Wissenschaftsethik mit einem Gutachten beauftragte Professor für Medizinische Statistik der MUW [die Med Uni Wien, Anm.].“

Weiters wird in der Presseaussendung festgehalten, dass die wissenschaftlichen Experimente „zu 100% fabriziert“ wären und diese „vorgenommene Datenfabrikation“ seitens der verantwortlichen Person auch zugegeben worden sowie dass der Verblindungscode bekannt gewesen wäre.
Die gesamte Aussendung war bis 2016 auf der Seite der MUW abrufbar und wurde im Zuge einer Restrukturierung der Homepage archiviert.

Letter of Retraction

Folgend auf die Ergebnisse der Untersuchungen des Rats für Wissenschaftsethik nahm der Leiter der die Studie durchführenden Arbeitsgruppe und korrespondierender Autor der Publikation deren Retraktion vor. Als Begründung in dem Schrieben an das veröffentlichende wissenschaftliche Journal wurde angeführt, dass „inconsistencies in the blinding process“ festgestellt wurden, „deren Quelle jüngst im Rahmen eines Qualitätsaudits“ entdeckt wurde. 

Rückzahlung der Forschungsgelder

EU-Fördermittel für die Studie idH von 8300 € wurden laut dem damaligen Rektor der MedUni Wien im Frühjahr 2010 an die EU zurückgezahlt.

Berücksichtigung im IARC-Monograph 102

Beide Studien des Wiener Teils der REFLEX-Studie wurden im Rahmen der Klassifikation von Hochfrequenz durch die IARC (Internationale Krebsforschungsagentur der WHO, Lyon) berücksichtigt. Sie werden in den Referenztabellen mit dem Kommentar „controversial data“ gelistet. Auf S. 316 wird dazu ausgeführt: „Several discussions about the mode of data acquisition in these two studies subsequently appeared in scientific journals (Rudiger et al., 2006; Vijayalaxmi et al., 2006; Tuffs, 2008; Vogel, 2008; Wolf, 2008; Balzano, 2008; Kuster, 2008; Drexler & Schaller, 2009; Rudiger, 2009b,c; Lerchl & Wilhelm, 2010; Baan, 2009)“. (IARC Monographs on the evaluation of carcinogenic risks to humans, “Non-ionizing radiation part 2: radiofrequency electromagnetic fields, Volume 102).

Weitere Informationen zur REFLEX-Studie:

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